Mark Buzinkay hat den Geheimtipp Albanien erkundet – und einen wunderbaren Mix aus Wanderwegen, kulinarischen Genüssen, frühsommerlichen Stränden und blühender Natur entdeckt. Besonders im Frühling ist das Balkan-Land ein ebenso faszinierendes wie entspanntes Reiseziel.
Es ist noch nicht Tag und schon nicht mehr Nacht, aber ich stehe bereits in den Wanderschuhen und blicke etwas skeptisch in das enge Tal vor mir. Die Wolken hängen tief, die Bergspitzen sind nicht zu sehen und die Schneelinie reicht weiter hinab, als ich mir das am heißen Nachmittag am Flughafen erträumt hätte. In einem Kraftakt bin ich letzte Nacht mit dem Auto von Tirana ins Valbona Tal gefahren: das waren elendsviele Bergkilometer auf Schlagloch-übersäten Straßen, die unbeleuchtet und kurvig meine ganze Aufmerksamkeit erforderten. Alles was ich von der Umgebung wahrnahm, waren die achtzig Meter ausgeleuchteter Straße vor mir. Eine Nacht später sehe ich, wohin ich gefahren bin: in den Spätwinter.
Das Valbona-Tal ist Anfang April noch tief eingeschneit
Früh im April kann das schon mal passieren. Auf dem Weg zum Valbona Pass, den ich an diesem Tag nicht mehr erreichen werde, treffe ich auf einen verblüfft dreinschauenden Einheimischen. Wohin ich will und was ich hier mache. Im Sommer hätte er mir diese Frage nicht gestellt und meint in Handsprache, dass am Pass hinüber nach Teth noch gut zwei Meter Schnee liegen. Die Wochen zuvor hatte es noch mächtig geschneit. Österreich findet er aber trotzdem spitze, signalisiert er mit einem erhobenen Daumen, ehe wir uns verabschieden. Ich steige höher gegen das Talende, aber bald ist im tiefen Schnee Schluss. Nach einem Picknick auf einer Felskanzel auf einem aperen Südhang, von dem ich das Schauspiel minütlicher Nassschneelawinen beobachten kann, geht es wieder zurück zum Wagen.
Zwischen Wandern Und Camping-Leben
Zwei Tage später faulenze ich im feinen Kies in der Bucht von Gijpe. An der Küste ist es für mich schon Sommer und ich genieße ein noch eher kühles Bad im Wasser. Meine Füße danken es mir – denn ich habe schon einige Kilometer zurückgelegt. Am Vortag durchstreifte ich die Kiefer-Wälder im Llogara Nationalpark, ein im Frühling ruhiger Wald mit wunderschönen Ausblicken auf die tiefblaue Adria. Auch wenn mich später die Wolken am Bergrücken einschlossen und der Wind ordentlich zu pfeifen begann, die Rundwanderung bot einsame Stunden in intakter Natur. Eine tolle Tagestour, die von der Passstraße aus sehr einfach zu starten war. Ich entschloss mich, die nächste Woche an der Küste zu bleiben und die Wanderwege hier auszukosten. Mit Gijpe habe ich einen Volltreffer gelandet, denn auch an einem strahlenden Wochenende im April finden sich hier nicht mehr als ein Dutzend Leute ein, die ihr Zelt im Eco-Camping oder direkt am Strand aufschlagen.
Nationalpark Llogara mit Blick über die Adria
Das Camping-Leben in Gijpe entpuppt sich als denkbar einfach – das Bier wird im Bach gekühlt, dessen glasklares Wasser direkt aus dem Canyon-Fels kommt. Lärm gibt es keinen, weil Fahrzeuge hier nicht erwünscht sind und auch kein Strom für Musiklautsprecher verfügbar ist. In den Kalkfelsen des engen Canyons versuchen sich Seilschaften aus Österreich und Deutschland in Sportkletter-Routen, im Wasser paddeln zwei Kajaker. Der Chef des Eco-Campings setzt mir zur Begrüßung einen Raki auf den Tisch, etwas später packt er seine Gitarre aus, während ich in einer Hängematte unter einem Feigenbaum die nächste Etappe plane: eine Küstenwanderung nach Jale. Das Zelt für die Nacht steht mittlerweile bereit und ich könnte nicht entspannter sein. Ich verstehe, dass Albanien eine andere Gangart hat – es ist alles etwas ruhiger, gemächlicher und ich beginne mein Tourenprogramm anzupassen: Langsamkeit hat Vorrang.
Viel Fleisch Und „Aufgepepptes“ Gemüse
Die nächsten Tage gehören gänzlich der Küste, an der sich überall – sowohl direkt am oder über dem Wasser, als auch etwas im Landesinneren – Wanderungen realisieren lassen. Im Frühjahr finden sich kaum Besucher ein und so kann ich nicht nur die Wege gänzlich für mich alleine haben, sondern unterwegs auch ohne Reservierung Unterkünfte finden. Das Essen in den Dörfern ist gut und unverschämt günstig, sodass ich gerade mal Wasser und einen Snack im Rucksack mit mir trage. Die albanische Kost ist traditionell fleischlastig, und Gegrilltes ist hier wie bei uns das Schnitzel: die Leibspeise der Albaner. Aber auch für Vegetarier findet sich genug, das Gemüse in den Dörfern ist garantiert bio und mit Käse und Eiern lokaler Bauern schnell aufgepeppt. Ich habe also nicht zu hungern, sondern freue mich bei jeder Wanderung schon auf das Abendessen.
Nationalgericht Fergesë – ein Auflauf aus Paprika, Käse und Tomaten
Nach gut zwei Wochen ziehe ich wieder in die Berge Zentral-Albaniens. Ich komme in einem Bergdorf unter, welches auf circa 1.000 m Seehöhe liegt. Alles blüht – Pflaumenbäume im Garten und Löwenzahn auf der Wiese. Das Haus ist eine neueröffnete Lodge mit offenem Kamin, einem Steinofen und einer Pétanque-Anlage. Die Herkunft der Wirte ist somit geklärt: ein junges Pärchen aus Frankreich, das sich in Albanien niedergelassen hat und den Einheimischen mit französischem Essen etwas Abwechslung bieten möchte. Die Zutaten kommen freilich aus der Gegend – die Milch, die Butter, die Kartoffeln. Ich fühle mich hier sofort wohl und gehe fast täglich auf Erkundungstour, entweder direkt vom Haus in die umliegenden Dörfer und Berge, oder mit dem Auto gegen Norden und Osten.
Am Ohridsee, einer der ältesten der Erde
Vielleicht das augenscheinlichste Landschaftsmerkmal in der albanisch-mazedonischen Grenzregion ist der Ohridsee, der als der älteste See Europas bezeichnet wird. An dessen Ufern aber auch in dem Gebirge darüber lässt es sich gut wandern. Die Fernblicke sind ausgezeichnet und ich bekomme Lust, auch den Gebirgskamm auf der mazedonischen Seite des Sees zu erklimmen. Der Schnee ist Ende April schon von den meisten Hängen verschwunden und es ist nunmehr ein Leichtes einige Berggipfel mitzunehmen. Die Wege sind oft ausgeschildert, trotzdem habe ich auch eine Wander-App zur Orientierung dabei: die albanische SIM-Karte tut ihren Dienst flott und zuverlässig
Nach beinahe vier Wochen ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Ich blicke zurück auf eine Vielzahl von Landschaften, ein Durcheinander von Bergen und Tälern, auf türkisblaues Bergwasser, satt-grüne Kiefernwälder und sommerliche Küstenpfade, auf freundliche Menschen und Natur soweit das Auge reicht. In mein Flugzeug einsteigend, blicke ich hinüber zu den Bergen und denke mir: der Winter mit den Skiern müsste hier ebenso spannend sein wie der Frühling zu Fuß